Das meint jedenfalls Traute Meyer, Professorin of Social Policy an der University of Southampton in unserem Gespräch. Sie ist überzeugt, dass es ohne radikale Kürzungen gelingen kann, nachhaltige Rentenreformen zu stemmen. Eindeutig ist ihre Einschätzung zur Aufstellung des deutschen Rentensystems: Deutschland schneide im EU-Vergleich extrem schlecht ab.
Ich empfehle Ihnen dazu auch den Beitrag von Traute Meyer in der aktuellen MetallRente Studie "Jugend, Vorsorge, Finanzen 2016": Europäische Rentenpolitik in Zeiten der Wirtschaftskrise. Was junge Beschäftigte heute (noch) von der Rente erwarten können. S. 88-99. Veröffentlicht bei Beltz Juventa 2016, ISBN 978-3-7799-3369-4.
Welche grundlegenden Rentensysteme gibt es in der EU? Welche Vor- und Nachteile bringen diese mit sich?
Meyer: Im „Beveridge-Modell” haben alle Bürger Zugang zu einem universellen gesetzlichen Minimum, das vor Armut schützen soll. Zu diesem Rentensystem gehören traditionell die Niederlande, die Schweiz, Schweden, Dänemark, Norwegen und Finnland, neuerdings auch Großbritannien. Im traditionellen „Bismarck-Modell” existiert dagegen kein universelles Minimum, sondern eine gesetzliche Rentenversicherung, die den Lebensstandard durch einkommensbezogene Leistungen garantiert hat. Zu den Ländern mit diesem Modell zählen unter anderem Österreich, Belgien, Frankreich, Deutschland und Italien. Das Rentensystem nach Beveridge hat den Ruf, Armut wirksamer zu vermeiden.
Das Bismarck-Modell hingegen bietet den Vorteil, dass die gesetzlichen Renten wegen der relativ hohen Einkommensersatzquoten höher sind als in den Beverdige-Ländern. Damit ist es auch für Menschen mit überdurchschnittlichen Einkommen interessant.
Wie veränderten sich die jeweiligen Systeme durch die Rentenreformen seit 2002?
Meyer: Fast alle Regierungen haben ihre Rentenzusagen eingeschränkt. Die garantierten Ansprüche nehmen deutlich ab. Gleichzeitig sehen sich die Staaten weiterhin in der Pflicht, einen Großteil des Alterseinkommens zu garantieren, besonders bei Menschen mit geringem Einkommen.
Wie steht das deutsche Rentensystem im EU-Vergleich da?
Meyer: Deutschland schneidet extrem schlecht ab. Das gesetzliche Rentenniveau für Geringverdiener ist so niedrig wie in keinem anderen Land. Es fehlt hier eine fest definierte Untergrenze, wie es sie in den Beveridge Ländern gibt. Außerdem existieren die hohen Renten nicht mehr, die lange als typisch für das Bismarck-Modell galten. Auch Beschäftigte mit mittlerem und höherem Einkommen haben meist geringere Renten als anderswo in der EU. Damit ist das Armutsrisiko stark gestiegen.
Einige EU-Länder haben ihre Rentenzusagen erhöht. Welche bieten ihren künftigen Rentnern vergleichsweise hohe Altersbezüge?
Meyer: Dazu gehören Dänemark, die Niederlande und Großbritannien. Das Vereinigte Königreich ist dabei ein Extremfall: Denn hier stiegen nicht nur die Rentenbezüge für Geringverdiener, sondern auch für alle anderen Einkommensgruppen. Möglich war dies auch, indem die Arbeitgeber zu höheren Beiträgen verpflichtet wurden. Ausgehend von einem recht niedrigen allgemeinen Niveau ist Großbritannien gleichwohl ein Beispiel dafür, dass Rentenreformen nicht zwingend mit dem Abbau sozialer Sicherheit einhergehen müssen.